Archiv des Autors: Felix

Mädchen ohne Abitur

Letzten Donnerstag machten wir uns auf den Weg nach Kreuzberg. Wir folgten einem Tipp aus dem Freundeskreis und hatten einen Tisch im ‚Mädchen ohne Abitur‘ reserviert. Das war eine weise Entscheidung, sowohl die Wahl des Restaurants, als auch die vorherige Reservierung, denn das Mädel wurde rasch pickepackevoll.

Den Namen verdankt das Restaurant einer wunderbaren Geschichte über eine gescheiterte Filmdiva, Rotlicht, leichte Mädchen (ohne Abitur) und Susi, die mit einem großen Nachlass bedachte Bardame. Deren ‚Erben‘ wiederum servieren jetzt Speisen und Getränke unter Rotlicht, wie es die Kreidetafel vor der Tür verkündet. Wer alle fantastischen Details wissen will, der findet die ‚ganze Wahrheit‘ auf der Website vom Mädchen ohne Abitur.

Auch wenn es aussieht wie ein einschlägiges Etablissement – Tischtelefone gibt es keine im Mädel ohne Matura

Auch wenn es aussieht wie ein einschlägiges Etablissement – Tischtelefone gibt es keine im Mädel ohne Matura

Das Ambiente ist plüschig, 50er Jahre, halbseiden, sehr gemütlich und stimmig. Die Karte ist ein liebenswertes Chaos. Aus jedem Dorf ’n Köter, vom Thaicurry bis zur Roulade, mit merkwürdigen Ideen wie einer Vorspreisenportion Spaghetti Bolognese (bestellt das je irgendwer?). Unsere Wahl fiel auf Dim Sum und Vitello Tonnato vorweg. Ich kann einfach keinem Vitello aus dem Weg gehen, wenn ich eines auf der Karte sehe, betrachte mich mithin, wenn nicht als Experten, so doch als sehr erfahrenen Kalbsfleisch-mit-Thunfischcreme-Verputzer. Und diese sehr klassische Variante mit Kapernäpfeln statt ordinärer Kapern war ausgezeichnet. Die Dim Sum konnten uns ebenfalls begeistern.

Oma hat uns immer gewarnt: Mädchen ohne Abitur enden böse, am Ende gar in einer Fernfahrerkneipe. Und an eine solche erinnerte die Piccata Milanese zum Hauptgang – jedoch nur, was die Portionsgröße angeht. Das Schnitzel war groß, der Berg Nudeln kaum erklimmbar und das gereichte Zitronenpesto himmlisch lecker. Unser zweites Hauptgericht, ein vegetarischer Auberginenauflauf, war ebenfalls sehr gut und völlig überdimensioniert. Der Vorteil für den Gast ist, dass man auch nur einen Hauptgang bestellen und trotzdem pappsatt aus dem Laden rollen kann. 50 Euro zu zweit reichen dann locker.

Mit Lust auf Lecker kunterbunt zusammengewürfelt: hinter dieser Speisekarte verbirgt sich kein Konzept – aber reichlich leckeres Essen

Mit Lust auf Lecker kunterbunt zusammengewürfelt: hinter dieser Speisekarte verbirgt sich kein Konzept – aber reichlich gutes Essen

Wermutstropfen im Mädchen ohne Abitur ist die Weinkultur. Ich erkundigte mich, ob einer der angebotenen Weißweine im Holzfass ausgebaut sei, weil mir solcherlei bereiteter Wein zum Vitello Tonato schmeckt. Ohne um den heißen Brei herumzureden teilte mir unser Kellner mit, weder er noch einer seiner Kollegen wüssten eine Antwort. Der ersatzweise georderte Rotwein war eher schwach. Ich wich schließlich auf einen Faustino Crianza aus, das ist ein verlässlicher spanischer Supermarktwein. Da können die Abkömmlinge von Susi noch eine Schippe drauflegen.

Die mäßige Weinkultur wird von der ansteckenden Fröhlichkeit des Servicepersonals wettgemacht. Hier sind leidenschaftliche Vollblutgastgeber am Werk und das ist uns wichtiger als das letzte Bisschen Perfektion auf dem Teller oder im Glas. Gerade für eine Date Night ist diese Mischung aus Plüsch und Frohsinn ein ideales Ambiente.

Hier geht’s zur Webseite von ‚Mädchen ohne Abitur‘

Ambiente: retroplüsch mit Wohlfühlfaktor
Preise: moderat
Preis-Leistungsverhältnis: sehr gut
Fazit: Das sollte man unbedingt ausprobieren

Tim Raue jr.: ‚la soupe populaire’

Moderne Zeiten: Hier sitzen die Besucher auf dem Podium

Moderne Zeiten: Hier sitzen die Besucher auf dem Podium

Ein guter Freund von uns interviewte vor Jahren den damals dreifach besternten Koch Juan Amador für den Wirtschaftsteil der FAZ zum Thema ‚Die Ökonomie der Sternegastronomie‘. Amador gab zu Protokoll, mit Sterne-Menüs könne man kein Geld verdienen. Auf die Frage, womit denn dann, erwähnte er Fernsehauftritte, Kreuzfahrt-Gigs auf der MS-Europa, Beratungsmandate und das ‚Zweitrestaurant‘. Da könne man trotz günstigerer Preise mit erheblich niedrigerem Wareneinsatz einen sehr profitablen Betrieb aufbauen. Daran fühlte ich mich gestern erinnert. Wir waren im ‚la soupe populaire’, dem Zweitrestaurant von Starkoch Tim Raue und das ‚Senfei tr‘ (letzteres steht für Tim Raue) war zwar das leckerste Senfei unseres Lebens aber am Ende war es ein Senfei.

Mit selbst gemachten Kartoffelchips, Kartoffelstampf, Senfsauce von zweierlei Senf und einem gestrichenen Teelöffeln Keta-Kaviar. Bei einem Preis von 10 Euro für das Schälchen Vorspeise, liegt der Wareneinsatz bei nicht einmal 15%. Gleiches galt für den Kohleintopf mit einer Scheibe Kalbfleisch aus der Keule: der leckerste aller Kohleintöpfe, für 15 Euro bezahlbar aber preislich ohne Bezug zum Wareneinsatz.

Große Handwerkskunst: Leber in  Liebesapfel eingerollt

Große Handwerkskunst: Leber in Liebesapfel eingerollt

Das war für uns ein winziger Mangel. Tim Raues Rezepte sind sehr lecker, bei einigen Gerichten die Handwerkskunst groß (etwa bei der Berliner Leber) und hier darf man das alles mal auf einfachere Zutaten angewendet erleben – dafür zum erschwinglichen Preis. Wer zwei Gänge nimmt und Wein glasweise trinkt, kann als Paar für unter hundert Euro satt und glücklich werden. Die Weinkarte listet einige bezahlbare Weine und diverses überkandideltes auf, die offenen Weine stammen allesamt aus Deutschland (von den Weingütern Schneider, Dreissigacker und Meyer-Näkel), was vielleicht nicht jedermanns Sache ist.

Neben dem Senfei, der Leber und dem Kohleintopf hatten wir noch die sehr guten Königsberger Klopse. Das ist ein undankbares Gericht, denn irgendeiner am Tisch hat immer eine Oma, deren Klopse die besten der Welt sind oder waren, da helfen auch keine Michelin-Sterne. Gestern durfte Eike die Rolle einnehmen, denn wir waren zu dritt. Unser Freund war Strohwitwer und kurzerhand als Gaststar eingekauft. Sein Eisbein vom Spanferkel war ebenfalls sehr gut.

Tische mit Aussicht: Vom Teller schweift der Blick über die Kunst

Tische mit Aussicht: Vom Teller schweift der Blick über die Kunst

Das Ambiente des ‚la soupe populaire’ ist außergewöhnlich. Es liegt im Atelierhaus auf Bötzow, einem Areal an der Prenzlauer Allee. Das halb entkernte ehemalige Fabrikgebäude hat einen urigen Charme und wird als Ausstellungsraum für die Werke renommierter zeitgenössischer Künstler genutzt. Auch wer nicht dinieren will, sollte mal einen Blick riskieren, der Eintritt ist frei. Zu jeder Ausstellung kreiert Tim Raue eine eigene Speisekarte, die durch saisonale Gerichte mit regionalen Zutaten ergänzt wird. Das Restaurant steht frei in der riesigen Ausstellungshalle auf alten Gusseisernen Aufbauten, die windschief aber stabil gleichzeitig stylisch und urig wirken. Enorm gestört hat der Gestank nach Kloake im Eingangsbereich, der glücklicherweise nicht bis in den Gastraum schwappte. Ob ein kurzfristiges Malheur oder grundsätzliche Mängel in der Bausubstanz verantwortlich, die Probleme mithin außerordentlich oder dauerhaft sind, haben wir nicht erfragt.

Eindeutige Anweisung: die internationale Gästeschaar verlangt nach universell verständlicher Beschilderung

Eindeutige Anweisung: die internationale Gästeschaar verlangt nach universell verständlicher Beschilderung

Die Tische sind begehrt, Reservierung ist zwingend notwendig. Wir hatten einen Slot in der ‚Frühschicht‘, weswegen wir schon um 20 Uhr durch mit dem Essen waren. Unser ‚Wohnzimmer‘ liegt nur eine Kurzstrecke mit dem Taxi entfernt und so nahmen wir noch einen Absacker im Rutz. Das werden wir in seiner Funktion als Weinbar und Restaurant noch einmal separat besprechen, sobald wir die Zeit finden.

Hier geht’s zur Webseite von ‚la soupe populaire’

Ambiente: stylisch aber nicht kalt
Preise: moderat
Preis-Leistungsverhältnis: mittelmäßig
Fazit: beeindruckend

Vom Einfachen das Gute

Letzen Donnerstag feierten wir eine doppelte Premiere. Nicht nur, dass wir zum ersten Mal eine Date Night im Wissen verbrachten, dass wir sie hier beschreiben würden, es war auch unsere erste Abendveranstaltung in einem Feinkostladen. Denn im ‚Vom Einfachen das Gute‘ geht der ernährungsbewusste Mitte-Hipster normalerweise einkaufen und nicht dinieren. Einmal im Monat bauen die Inhaber Manuela und Jörg aber eine lange Tafel im Laden auf und bitten ab 19.00 Uhr zum Motto-Abend mit reichlich Essen und Getränken.

Für Gemütlichkeit ist in der kleinsten Hütte Platz

Für Gemütlichkeit ist in der kleinsten Hütte Platz: Die improvisierte Tafel

Regionale Waren und internationale Spezialitäten; von umme Ecke, wo es geht und von ganz weit her, wo vergleichbares umme Ecke nicht gemacht wird, meistens Bio, immer artgerecht gehalten (wenn es irgendwann mal gelebt hat) und stets vor allem eines: lecker. Das klingt nach einem guten Konzept und, nachdem wir da waren, wissen wir: das ist auch ein gutes Konzept. Denn lecker war es, was auf den Tisch und ins Glas kam.

Den Anfang machte ein Perlwein von der Rheinhessischen Winzerin Katharina Wechsler. ‚Fräulein Hu‘ verdankt seinen Namen der Tatsache, dass er aus der Huxelrebe gekeltert wird, einer nur noch von wenigen Winzern vorwiegend in Rheinhessen angebauten Rebsorte. Die ist trocken und still belanglos, als edelsüßer Wein recht gut (in Zusammenspiel mit Scheurebe und Rieslaner in der Beerenauslese ‚Pius‘ vor Starwinzer K.P.Keller sogar genial) und als Prickler eine Wonne. Ein leichtes Leckerli, kann man gut ein Glas mehr von trinken. Taten wir auch. Dazu gab es Brote mit Schmalz vom Landwerthof. Der war auch Lieferant der groben Leberwurst und der Pastrami in den nächsten beiden Gängen. Zum vergleich im zweiten Gang: Ahle Leberwurscht von Carsten Neumeier; das ganze begleitet von zwei ‚Craft‘ Bieren, dem Aurum aus San Biago und dem Holy Shit Ale von Schoppebräu. So schmeckt Bier auch mir, möchte man sagen, aber mit vollem Mund spricht man nicht!

Der Pastrami die Schau stahl ein Käse, St. Felicien von der Formagerie Terroir. Der machte auch den dazu gereichten Riesling Grillenparz von Stagard aus Österreich platt aber das schöne an den Schlachten bei Manuela und Jörg ist: abgeräumt wird zum Schluss, dem Käse konnte man also auch die anderen bis dahin gereichten Getränke beiordnen. Die nächste Paarung war wieder ganz deutsch und handwerklich: Zwei gereifte Würste von Carsten Neumeier mit dem Riesling ‚Benn‘ von Katharina Wechsler. Das war es: vom Einfachen das Gute und einfach gut zu genießen.

Es hieß Abschied nehmen, nicht von der Veranstaltung, sondern von Deutschland. Der Wein wurde Rot und kam fortan aus südlichen Gefilden, ebenso wie die diversen Salamis (mit Fenchel oder vom Cinta Senese Schwein), Schinken und Käse (herausragend: ein umbrischer Peccorino im Feigenblatt). Es war ein Rausch, der sich auch langsam im Blutalkoholspiegel ausdrückte, weswegen die Beschreibungen kürzer werden.

Pappsatt und angenehm berauscht stellten wir uns den finanziellen Konsequenzen des Abends und die waren harmlos. Gerade einmal 25 Euro pro Person verlangten die beiden Nebenerwerbsfeinkosthändler (das längste Wort seit langem). Da kauften wir gleich noch ein bisschen für daheim ein. Denn vom Einfachen das Gute können wir auch dort gebrauchen.

Um der Chronistenpflicht nachzukommen: Ein Absacker fiel diesmal aus, den Apero hatten wir im Innenhof des Katz Orange genommen. Das ist ein sehr gutes Restaurant, welches wir in einer unserer ersten Date Nights ausprobiert hatten. Die gebotene Leistung war zufriedenstellend, stand jedoch nicht ganz im Einklang mit den selbst formulierten Ansprüchen und geforderten Preisen. Am frühen Abend ist der lauschige Innenhof aber eine tolle Location für ein Glas Wein als Date Night Auftakt.

Hier geht’s zur Webseite von ‚Vom Einfachen das Gute

Ambiente: urgemütlich und unprätentiös
Preise: winzig
Preis-Leistungsverhältnis: herausragend
Fazit: unbedingt hin da!